Das Virus wird zur Vertrauensfrage

Am 28. November stimmt die Schweiz erneut über das Covid-19-Gesetz ab, das in der Juni-Abstimmung mit 60% angenommen worden ist. Konkret geht es nun um die Anpassungen, die das Parlament im vergangenen März beschlossen hat.

Die Änderungen betreffen unter anderem die Ausweitung der Finanzhilfe für Betroffene, die bisher überhaupt nicht oder zu wenig unterstützt worden sind. Zudem soll die rechtliche Grundlage für das Covid-Zertifikat geschaffen werden. Verschiedene Gruppierungen, darunter die sogenannten «Freunde der Verfassung», lehnen diese Massnahmen als «undemokratisch» und «menschenrechtsfeindlich» ab. Sie rufen dazu auf, dem Bundesrat einen «Denkzettel» zu verpassen.

 

Spaltung der Gesellschaft?

Während wir zu Beginn der Pandemie eine bewundernswerte Solidaritätswelle erlebten, ist unsere Gesellschaft nun auf dem Weg, sich in zwei Lager zu spalten: die Massnahmenbe­fürworter*innen und die Massnahmengegner*innen, die sich zunehmend aggressiver gegenüberstehen. Freundschaften und Arbeitsbeziehungen drohen an den Grabenkämpfen zu zerbrechen. Dabei scheinen wir zunehmend aus den Augen zu verlieren, wer unser eigentlicher Feind ist: nicht die Andersdenkenden, sondern das Virus ist der Feind, der nicht nur Tausende von Toten und Kranken, sondern auch Milliardenschäden für unsere Wirtschaft und Kultur verursacht. Verständlich, dass wir alle nach 18 Monaten Pandemie müde sind und rasch wieder ein «normales» Leben führen möchten. Die Frage ist allerdings, wie wir mit möglichst geringen weiteren Kollateralschäden für unsere Gesundheit und Wirtschaft in die Normalität zurückfinden. Hierüber kann und soll in einer demokratischen Gesellschaft diskutiert werden.

 

Sachliche Entscheidungsfindung
Wir sollten das Pro und Kontra des Covid-19-Gesetzes möglichst nicht nur emotional und mit einem Tunnelblick, sondern auf der Basis von Fakten und Wahrscheinlichkeiten prüfen. Etwa bei Tempolimiten im Verkehr diskutieren wir über die Auswirkungen auf Unfälle, Lärmimmissionen und die wirtschaftlichen Konsequenzen. Anschliessend fällen wir einen demokratischen Entscheid. Genauso sollten wir auch bei den Corona-Massnahmen die Vor- und Nachteile, Kosten und Nutzen offen und sachlich gegeneinander abwägen. Berechtigte Anliegen und Ängste müssen dabei ernst genommen werden, die getroffenen Massnahmen dürfen aber unsere Grundrechte nicht beschneiden. Faktenloser Propaganda und aggressiver Hetze darf hingegen kein Platz eingeräumt werden. Unsere Entscheidungsprozesse können nur funktionieren, wenn wir die demokratischen Spielregeln einhalten.

 

Die vom Parlament im Frühling beschlossenen Anpassungen im Covid-19-Gesetz sind verhältnismässig und notwendig, um die Pandemie und deren Auswirkungen wirkungsvoll zu bekämpfen. Es ist dringend erforderlich, Betroffene zu unterstützen, in der aktuellen Pandemie Veranstaltungen zu ermöglichen und unsere Bewegungsfreiheit – auch international – zu gewährleisten.

 

Ich plädiere deshalb für ein Ja zum revidierten Covid-19-Gesetz und appelliere an einen sachlichen und respektvollen Umgang in unserer demokratischen Gesellschaft.