Es gibt keine Geflüchteten erster oder zweiter Klasse

Mit der Corona-Pandemie kam die Welt eine Zeit lang zum Stillstand, neben der Wirtschaft auch die Migrationsströme. Derzeit flüchten jedoch so viele Menschen in die Schweiz wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr; neben den Menschen aus der Ukraine gelangen seit dem Sommer wieder vermehrt Geflüchtete aus anderen Kriegs- und Krisengebieten ins Land, so etwa aus Afghanistan, Syrien oder der Türkei.

Das Staatssekretariat für Migration rechnet für das gesamte Jahr mit mindestens 80 000 Geflüchteten aus der Ukraine und etwa 24 000 aus anderen Regionen. Was die Geflüchteten aus der Ukraine unter anderem von den übrigen unterscheidet, ist der Aufenthaltsstatus. Ukrainer:innen müssen kein Asylgesuch stellen, sondern erhalten automatisch den Schutzstatus S. Sie dürfen – sofern sie einen Job finden – sofort arbeiten und müssen nicht monatelang in abgeschotteten Bundesasylzentren leben. Ein Grossteil der Ukrainer:innen kommt bei Privatpersonen unter, die sich bereit erklärt haben, sie aufzunehmen. Die Solidarität mit den Ukrainer:innen ist längst nicht perfekt, doch sie gibt uns zumindest eine vage Idee davon, wie eine Flüchtlingspolitik aussehen könnte, die auf humanitären Werten aufbaut.

 

Schutzstatus S oder humanitäres Visum für alle

Zudem ist der Zugang zum Asylsystem anders: Während für Ukrainer:innen das Zielland sozusagen frei wählbar ist, müssen Geflüchtete aus anderen Ländern in der Schweiz einen Asylantrag stellen. Für die meisten von ihnen bedeutet dies eine hochriskante Reise übers Mittelmeer. Das müsste nicht sein. Mit der Abschaffung des Botschaftsasyls 2013 hob der Bund eine der wichtigsten Hilfen für Menschen in prekären Situationen auf. Als Ersatz schuf man das sogenannte humanitäre Visum: Es kann von Menschen im Ausland beantragt werden, die aufgrund von Herkunft, Ethnie, religiöser oder politischer Gesinnung verfolgt werden. Zuständig für diese Visa-Anträge ist das Bundesamt für Migration im Departement von Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Sie fällt diesbezüglich aber nicht mit einer grosszügigen Praxis auf, im Gegenteil. Die Menschen, die zurzeit wieder vermehrt in der Schweiz ankommen, stammen aus Regionen, die teils seit Jahrzehnten in Krieg und Terror versinken. Für sie soll das System möglichst abschreckend wirken.

Was wir hingegen dringend brauchen, ist, den Schutzstatus S für alle Geflüchteten einzuführen, ebenso das humanitäre Visum als Brückenkopf in den Herkunftsländern. Nur so kann Menschen in Notsituationen eine sichere Flucht ermöglicht werden. Ihnen soll eine Zukunftsperspektive ohne Gängelei in der Schweiz geboten werden. In den sich überlappenden Krisen in unserer Zeit sind Migrationsströme kein Phänomen, dem wir uns verschliessen dürfen.